Auf der Hochzeit beschimpfte der Sohn seine Mutter, nannte sie eine „Betrügerin“ und Bettlerin und forderte sie auf zu gehen. Doch sie nahm das Mikrofon und hielt eine Rede…
Silvia Petrovna stand in der Schlafzimmertür und öffnete sie einen Spaltbreit, um niemanden zu stören, aber auch, um nichts Wichtiges zu verpassen.
Sie sah ihren Sohn mit demselben Ausdruck an, einer Mischung aus mütterlichem Stolz, Zärtlichkeit und etwas fast Heiligem. Rareș stand in einem hellen Anzug vor dem Spiegel, und seine Freunde halfen ihm, seine Fliege zu binden.
Alles sah aus wie aus einem Film: Er war schlank, gutaussehend und ruhig. Doch etwas zog sich schmerzhaft in Silvias Herzen zusammen: Es fühlte sich an, als gehöre sie nicht in dieses Bild, als existiere sie in diesem Leben überhaupt nicht, als wäre sie nicht eingeladen.
Sorgfältig rückte sie den Saum ihres alten Kleides zurecht und stellte sich vor, wie sie in dem neuen Blazer aussehen würde, den sie für den nächsten Tag vorbereitet hatte, denn sie hatte sich bereits entschieden, zur Hochzeit zu gehen, auch ohne Einladung.
Doch kaum betrat sie den Raum, drehte sich Rareș, als spürte er ihren Blick, um, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Sie kam herein, schloss die Tür und blieb im Zimmer.
„Mama, wir müssen reden“, sagte er vorsichtig, aber bestimmt.
Silvia setzte sich. Ihr Herz klopfte wie wild.
„Natürlich, mein Sohn. Ich habe diese Schuhe gekauft, weißt du noch? Und außerdem …“
„Mama“, unterbrach er sie. „Ich möchte nicht, dass du morgen kommst.“
Silvia erstarrte. Zuerst verstand sie nicht, was er gesagt hatte, als weigerte sich ihr Verstand, den Schmerz in ihr Herz eindringen zu lassen.
„Warum?“ Ihre Stimme zitterte. „Ich… ich…“
„Weil es eine Hochzeit ist. Weil Leute da sein werden. Weil du nicht… so aussiehst, wie du aussehen solltest. Und wegen deines Jobs… Mama, versteh mich doch, ich will nicht, dass sie denken, ich käme… aus irgendeinem Slum.“
Ihre Worte prasselten wie Hagel auf sie ein. Silvia versuchte etwas zu sagen:
„Ich habe einen Termin beim Friseur gemacht, ich lasse mir die Haare schneiden, eine Maniküre machen… Ich habe ein Kleid, ein schlichtes, aber…“
„Das ist nicht nötig“, unterbrach sie ihn erneut. „Mach es nicht schlimmer. Sie werden dich sowieso bemerken. Bitte. Komm einfach nicht.“
Sie ging, ohne auf eine Antwort zu warten. Silvia blieb allein im dunklen Raum zurück. Stille hüllte sie ein wie Watte. Alles war gedämpft, sogar ihr Atem, sogar das Ticken der Uhr.
Sie saß lange regungslos da. Dann, als hätte sie etwas in ihrem Inneren dazu veranlasst, stand sie auf, holte eine staubige alte Schachtel aus dem Schrank, öffnete sie und nahm ein Album heraus. Es roch nach Zeitungspapier, Klebstoff und vergessenen Tagen.
Auf der ersten Seite ist ein vergilbtes Foto: ein Mädchen in einem zerknitterten Kleid neben einer Frau mit einer Flasche in der Hand.
Silvia erinnerte sich an diesen Tag: Ihre Mutter schrie den Fotografen an, dann sie, dann Passanten. Einen Monat später wurde ihr das Sorgerecht entzogen. So landete Silvia im Waisenhaus.
Seite für Seite, wie Schläge. Ein Gruppenfoto: Kinder in identischer Kleidung, kein Lächeln. Strenge Lehrer.
Da verstand sie zum ersten Mal, was es bedeutete, unerwünscht zu sein. Sie wurden geschlagen, bestraft und dem Hungertod überlassen. Aber sie weinte nicht. Nur die Schwachen weinten. Und niemand weinte um die Schwachen.
Dann kam ihre Jugend. Nach dem Schulabschluss arbeitete sie als Kellnerin in einem Straßencafé. Es war hart, aber sie hatte keine Angst mehr. Sie war frei, und das begeisterte sie.
Sie war gepflegt, wählte ihre Kleidung sorgfältig aus, nähte Röcke aus billigen Stoffen und lockte ihr Haar im Retro-Stil. Abends übte sie das Laufen in High Heels, nur um sich schön zu fühlen.
Dann – ein Zufall. An einem geschäftigen Tag im Café verschüttete sie versehentlich Tomatensaft über einen Kunden. Panik, Schreie, der Manager war außer sich.
Sie versuchte sich zu rechtfertigen, aber alle waren wütend. Dann sagte Victor, groß, ruhig, in einem leichten, offenen Hemd, lächelnd:
„Es ist nur Saft. Ein Unfall. Lass das Mädchen in Ruhe.“
Silvia war sprachlos. So hatte noch nie jemand mit ihr gesprochen. Ihre Hände zitterten.
Am nächsten Tag brachte er ihr Blumen. Er stellte sie auf den Tresen und sagte: „Ich möchte dir einen Kaffee ausgeben. Ganz unverbindlich.“
Er lächelte auf eine Art, die Silvia zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr das Gefühl gab, ein Waisenkind oder eine Kellnerin zu sein, sondern eine Frau.
Sie tranken Kaffee aus Plastikbechern auf einer Parkbank. Er sprach über Bücher, über Reisen. Sie sprach über das Waisenhaus, ihre Träume und die Hoffnung, eines Tages eine Familie zu haben.
Als er ihre Hand nahm, konnte sie es kaum glauben. In dieser Berührung lag mehr Zärtlichkeit als alles, was sie je erlebt hatte. Von da an hatte sie auf ihn gewartet.
Und als er kam, im selben Hemd, mit denselben Augen, vergaß sie den Schmerz. Sie schämte sich für ihre Armut, aber er schien es überhaupt nicht zu bemerken. Er sagte: „Du bist wunderschön. Sei einfach du selbst.“
Und sie glaubte ihm.
Dieses Jahr war das wärmste und längste. Silvia erinnerte sich daran als den schönsten Moment ihres Lebens: ein Kapitel voller Liebe und Hoffnung.
Sie ging mit Victor an den Fluss, sie spazierten durch den Wald und saßen stundenlang in Cafés. Er stellte sie seinen Freunden vor: intelligent, fröhlich und höflich.
Zuerst fühlte sie sich fehl am Platz, aber Victor schüttelte ihr unter dem Tisch die Hand; diese Geste gab ihr Kraft. Die besten Geschenke für Ihre Lieben
Sie beobachteten die Sonnenuntergänge vom Dach aus, tranken Tee aus einer Thermoskanne und hüllten sich in eine Decke. Victor sprach von einer Karriere in einem internationalen Unternehmen, sagte aber, er wolle das Land nicht für immer verlassen.
Silvia hörte ihm zu, prägte sich jedes Wort ein und spürte, wie zerbrechlich alles war.
Einmal fragte er sie – halb im Scherz, aber auch ein wenig ernst –, was sie von einer Heirat hielte. Sie lachte verlegen und schaute weg.
Doch ein Schrei von „Ja“ entfuhr ihrer Seele, tausendmal lauter als sonst. Sie traute sich einfach nicht, es laut auszusprechen, aus Angst, das Märchen zu zerstören.
Doch andere zerstörten das Märchen.
…Sie saßen in dem Café, in dem Silvia gearbeitet hatte, als es passierte. Am Nebentisch lachte jemand laut auf, und dann gab es ein Platschen: Ein Cocktail wurde ihr ins Gesicht geschüttet.
Die Flüssigkeit lief ihr über die Wangen und auf ihr Kleid. Victor zuckte zusammen, aber es war zu spät.
Sein Cousin saß am Nebentisch. In seiner Stimme klangen Hass und Verachtung:
„Sie? Das ist deine Auserwählte? Eine Putzfrau? Ist sie in einem Waisenhaus aufgewachsen? Das nennst du Liebe? Die besten Geschenke für deine Lieben.“
Die Leute sahen zu. Manche lachten. Silvia weinte nicht. Sie stand auf, wischte sich das Gesicht mit einer Serviette ab und ging.
Und von diesem Moment an begann der wahre Albtraum. Das Telefon klingelte unaufhörlich mit hasserfülltem Getuschel und Drohungen.
„Verschwinde, bevor es schlimmer wird.“ „Wir sagen allen, wer du bist.“ „Du hast noch Zeit zu verschwinden.“
Dann begannen die Provokationen: Sie erzählten den Nachbarn Lügen über sie und verbreiteten Gerüchte, sie sei eine Diebin, eine Prostituierte, eine Drogensüchtige.
Einmal kam ihr alter Nachbar, Jakow Iwanowitsch, zu ihr und erzählte ihr, sie seien bei ihr zu Hause gewesen und hätten ihr Geld angeboten, wenn sie ein Dokument unterschriebe, in dem er erklärte, sie beim Stehlen in einer Wohnung beobachtet zu haben. Er hatte lehnte ab.
„Du bist ein guter Mann“, sagte er. „Und sie sind erbärmliche Schurken.“ Warte.“
Sie hielt durch. Sie sagte Victor nichts: Sie wollte seine Pläne für sein Praktikum in Europa nicht ruinieren. Sie hoffte, dass sich alles wieder legen würde, dass er darüber hinwegkommen würde.
Aber nicht alles lag in ihrer Hand.
Kurz vor seiner Abreise erhielt Victor einen Anruf von seinem Vater. Der Bürgermeister, Nicolae Borislav Sidorov, eine einflussreiche und harte Persönlichkeit, lud Silvia zu einem Treffen in sein Büro ein.
Sie kam. Einfach, aber sauber gekleidet. Sie saß ihm gegenüber, aufrecht, als wäre sie vor Gericht. Er sah sie an, als wäre sie Staub auf dem Boden.
„Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast“, sagte er. „Mein Sohn ist die Zukunft dieser Familie.“ Und du bist ein Schandfleck auf seinem Ruf. Geh. Oder ich kümmere mich persönlich darum. Familienurlaubspakete
Silvia faltete die Hände im Schoß.
„Ich liebe ihn“, sagte sie leise. „Und er liebt mich.“
„Liebe?“ Sidorov lachte. Verächtlich. „Liebe ist ein Luxus für Gleichgestellte. Und du bist nicht mehr dieselbe.“
Sie zerbrach nicht. Sie ging erhobenen Hauptes. Sie sagte nichts zu Victor. Sie glaubte, die Liebe würde siegen. Doch am Tag ihrer Abreise ging sie, ohne die Wahrheit zu erfahren.
Eine Woche später wurde Silvia von ihrem Chef Stelian ins Café gerufen. Abgekämpft und ständig unzufrieden. Er sagte, einige Produkte seien verschwunden und jemand habe sie mit etwas aus dem Lager kommen sehen.
Silvia verstand nichts. Dann kam die Polizei. Eine Untersuchung wurde eingeleitet. Stelian zeigte auf sie. Die anderen schwiegen. Diejenigen, die die Wahrheit kannten, hatten Angst.
Der Pflichtverteidiger war jung, erschöpft und gleichgültig. Er sprach während des Prozesses lustlos. Die Beweise sind schwach und offensichtlich erfunden.
Die Kameras zeigten nichts, doch die „Zeugen“ wirkten überzeugend. Der Bürgermeister hatte seine Aufgabe erfüllt. Das Urteil: drei Jahre Untersuchungshaft.
Als sich die Zellentür hinter ihr schloss, begriff Silvia: Es war vorbei. Alles, was gewesen war – Liebe, Hoffnung, Zukunft – blieb hinter Gittern.
Ein paar Wochen später fühlte sie sich krank. Sie ging in die Krankenstation und ließ einen Test machen. Das Ergebnis: positiv.
Sie war schwanger. Wegen Victor.
Zuerst konnte sie vor Schmerzen kaum atmen. Dann folgte die Stille. Dann die Entscheidung. Sie würde überleben. Für das Kind.
Im Gefängnis schwanger zu sein, war die Hölle. Sie verspotteten und erniedrigten sie, doch sie schwieg. Sie streichelte ihren Bauch und sprach nachts mit dem Kind.
Sie dachte über Namen nach: Rareș. Alexander. Zu Ehren des Schutzpatrons. Zu Ehren eines neuen Lebens. Die besten Geschenke für deine Lieben.
Die Geburt war schwierig, aber das Kind kam gesund zur Welt. Als sie ihren Sohn zum ersten Mal in den Armen hielt, weinte sie. Ruhig. Es war keine Verzweiflung. Es war Hoffnung.
Zwei Frauen halfen ihr im Gefängnis: die eine saß wegen Mordes, die andere wegen Raubes im Gefängnis. Hart, aber respektvoll gegenüber dem Baby. Sie brachten ihr Dinge bei, gaben ihr Ratschläge, halfen ihr. Silvia hielt durch.
Nach anderthalb Jahren wurde sie auf Bewährung entlassen. Draußen wartete Jakob Iwanowitsch auf sie. Er hielt eine alte Babydecke in der Hand.
„Hier“, sagte er. „Sie haben sie uns gegeben. Komm, ein neues Leben erwartet dich.“
Rareș schlief im Kinderwagen und kuschelte mit einem Teddybären.
Silvia wusste nicht, wie sie ihm danken sollte. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Aber sie musste am ersten Tag beginnen.
Der Tag begann um sechs Uhr morgens: Rareș in die Kita, sie ins Büro zum Putzen. Dann zur Autowaschanlage, nachmittags zusätzliche Arbeit im Lager. Abends: Nähmaschine, Garn, Stoffreste. Sie nähte alles: Servietten, Schürzen, Kissenbezüge.
Der Tag wurde zur Nacht, die Nacht zum Tag, alles verschwamm zu Nebel. Ihr Körper schmerzte, aber sie machte weiter, wie auf Autopilot.
Eines Tages traf sie Larisa auf der Straße, dasselbe Mädchen vom Kiosk neben dem Café. Sie erstarrte, als sie Silvia sah:
„Mein Gott … Lebst du noch? Lebst du noch?“
„Warum sollte ich nicht mehr leben?“, fragte Silvia ruhig.
„Verzeih mir … So viele Jahre sind vergangen … Weißt du, Stelian ist pleitegegangen. Total. Er wurde aus dem Café geworfen. Und der Bürgermeister … ist jetzt in Moskau.
Und Viktor … Viktor hat geheiratet. Vor langer Zeit. Aber man sagt, er ist nicht glücklich. Er trinkt.“
Silvia hörte ihr zu wie durch Glas. Etwas durchdrang ihre Seele. Aber sie nickte nur:
„Danke. Alles Gute.“
Und sie machte weiter. Keine Tränen, kein Zusammenbruch. Nur in dieser Nacht, nachdem sie ihren Sohn ins Bett gebracht hatte, erlaubte sie sich eines: zu weinen. Kein Schluchzen, kein Stöhnen, sie ließ einfach die stille Traurigkeit aus ihren Augen fließen. Und am Morgen stand sie wieder auf und machte weiter.
Rareș wuchs heran. Silvia versuchte, ihm alles zu geben. Seine ersten Spielsachen, eine bunte Jacke, leckeres Essen, eine schöne Handtasche.
Wenn er krank war, schlief sie an seinem Bett, flüsterte Geschichten und legte Kompressen auf seinen Körper. Als er hinfiel und sich das Knie aufschürfte, rannte sie schaumüberströmt aus der Waschanlage und machte sich Vorwürfe: Warum hatte sie sich nicht mehr um ihn gekümmert?
Als er nach einem Tablet fragte, verkaufte sie ihren einzigen goldenen Ring: ein Andenken an die Vergangenheit.
„Mama, warum hast du kein Handy wie alle anderen?“, fragte sie einmal.
„Weil du mir genug bist, Rareș“, lächelte sie. „Du bist mein wichtigster Anruf.“
Er war es gewohnt, dass alles von selbst passierte. Dass seine Mutter immer da war, immer lächelte. Silvia verbarg ihre Müdigkeit, so gut es ging.
Sie beschwerte sich nie. Sie erlaubte sich keine Schwäche. Nicht einmal, wenn sie am liebsten hingefallen wäre.
Rareș wuchs auf. Selbstbewusst, charismatisch. Er lernte fleißig und hatte viele Freunde. Aber immer öfter sagte er:
– Mama, kauf dir doch bitte etwas. Du kannst nicht immer in … diesen Lumpen herumlaufen.
Silvia lächelte:
– Okay, Liebling, ich werde es versuchen.
Aber ihr Herz schmerzte: Wird er auch … wie alle anderen sein?
Als er ihr sagte, dass er heiraten wolle, umarmte sie ihn mit Tränen in den Augen:
—Rareș, ich bin so glücklich … Ich nähe dir ein schneeweißes Hemd, okay?
Er nickte, als hätte er gar nichts gehört.
Dann kam dieses Gespräch auf. Alles in ihr brach zusammen. „Du bist eine Putzfrau. Du bist eine Schande.“ Diese Worte waren wie Messerstiche. Sie saß lange da und starrte auf ein Foto von Rareș als Kind, in einem blauen Overall, breit lächelnd, die Arme nach ihr ausgestreckt.
„Weißt du, mein Liebling“, flüsterte sie, „alles war für dich. Alles. Ich habe nur für dich gelebt. Aber vielleicht ist es an der Zeit, auch für mich selbst zu leben.“
Silvia stand auf und ging zu der alten Blechdose, in der sie Geld für die „düsteren Zeiten“ gespart hatte. Sie zählte es. Es reichte. Nicht für Luxus, sondern für ein hübsches Kleid, einen Friseurbesuch und sogar eine Maniküre.
Sie vereinbarte einen Termin in einem Friseursalon am Stadtrand, wählte dezentes Make-up und eine gepflegte Frisur. Sie kaufte ein elegantes blaues Kleid, schlicht, aber perfekt für sie.
Am Hochzeitstag stand sie lange vor dem Spiegel. Ihr Gesicht war anders. Nicht das einer Frau, erschöpft vom Wäschewaschen, sondern das einer Frau mit einer Geschichte.
Sie betrachtete sich und konnte es nicht glauben. Sie trug sogar zum ersten Mal seit vielen Jahren Lippenstift auf.
„Rareș“, flüsterte sie, „heute wirst du mich sehen, wie ich früher war. So wie du mich geliebt hast.“
Als sie das Standesamt betrat, drehten sich alle um. Die Frauen sahen sie eindringlich an, die Männer warfen verstohlene Blicke zu. Sie ging langsam, mit geradem Rücken und einem leichten Lächeln. Kein Vorwurf, keine Angst lag in ihren Augen.
Rareș bemerkte sie nicht sofort. Als er sie erkannte, erbleichte er. Er ging auf sie zu und flüsterte:
„Ich habe dir gesagt, du sollst nicht kommen!“
Silvia beugte sich zu ihm.
„Ich bin nicht deinetwegen gekommen. Ich bin meinetwegen gekommen. Und ich habe alles gesehen, was ich sehen musste.“
Sie lächelte Dana an. Sie war verlegen, nickte aber. Silvia saß abseits, mischte sich nicht ein, beobachtete nur. Und als Rareș ihr in die Augen sah, verstand sie: Sie hatte sie gesehen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit als Frau, nicht als Schatten. Und das war das Wichtigste.
Das Restaurant war erfüllt von Licht, klirrenden Gläsern und dem Funkeln der Kronleuchter. Doch Silvia schien in einer anderen Welt zu sein. Sie trug dasselbe blaue Kleid, ihr Haar war gekämmt, und ihre Augen waren klar.
Sie suchte nicht nach Aufmerksamkeit oder versuchte, etwas zu beweisen. Ihr innerer Frieden war stärker als die ganze Feier.
Neben ihr stand Dana, ehrlich, offen, mit einem warmen Lächeln. In ihren Augen lag kein Spott: nur Interesse und vielleicht Bewunderung.
„Du bist so wunderschön“, sagte sie leise. „Danke, dass du gekommen bist. Ich freue mich so, dich kennenzulernen.“
Silvia lächelte:
„Heute ist dein Tag, mein Mädchen. Ich wünsche dir viel Glück. Und … Geduld.“
Dananas Vater, mit würdevollem und selbstbewusstem Auftreten, kam auf sie zu und sagte höflich:
„Setz dich bitte zu uns. Es wäre uns eine Freude. Ich bitte dich.“
Rareș sah, wie seine Mutter ohne ein Wort des Vorwurfs würdevoll nickte und sich neben ihn setzte. Er konnte sie nicht zurückhalten. Alles geschah von selbst: Seine Mutter war außer Kontrolle geraten.
Es war Zeit für die Toasts. Die Gäste standen auf, scherzten und tauschten Erinnerungen aus. Dann – Stille. Und Silvia stand auf.
„Wenn ihr erlaubt“, sagte sie leise, „würde ich auch gern ein paar Worte sagen.“
Alle wandten sich ihr zu. Rareș war angespannt. Er nahm das Mikrofon, als hätte er es schon sein ganzes Leben lang getan, und sprach ruhig:
„Ich will nicht viel sagen. Ich wünsche dir nur Liebe. Die Liebe, die dich trägt, wenn du es nicht mehr ertragen kannst. Wer fragt sich nicht, wer du bist oder woher du kommst? Sie ist einfach da.“ Lasst uns aufeinander aufpassen. Immer. Die schönsten Geschenke für deine Lieben.
Sie weinte nicht. Aber ihre Stimme zitterte. Der Raum verstummte. Dann Applaus. Echter Applaus. Aufrichtig.
Silvia setzte sich wieder und senkte den Blick. In diesem Moment kam jemand auf sie zu. Ein Schatten fiel über die Tischdecke. Sie blickte auf und sah ihn.
Victor. Er wurde grau, aber mit denselben Augen. Mit derselben Stimme:
„Silvia … bist du das?“
Sie stand auf. Ihr stockte der Atem, aber sie zeigte weder Unsicherheit noch Tränen.
„Du …“
„Ich weiß nicht … was ich sagen soll. Ich dachte, du wärst weg.“
„Und du hast geheiratet“, antwortete sie ruhig.
„Man hat mir erzählt, du wärst weggelaufen. Dass du mit jemand anderem zusammen wärst. Verzeih mir. Ich war ein Idiot. Ich habe dich gesucht. Aber mein Vater … hat alles getan, um mich das glauben zu lassen.“
Sie standen mitten im Gang, als wäre der Rest der Welt verschwunden. Victor streckte die Hand aus:
„Kommst du mit? Damit wir reden können?“
Sie gingen in den Flur hinaus. Silvia zitterte nicht. Sie war nicht mehr das gedemütigte Mädchen von damals. Sie war jemand anderes.
„Ich habe geboren“, sagte sie. „Im Gefängnis. Deinen Sohn. Und ich habe ihn großgezogen. Ohne dich.“
Victor schloss die Augen. Etwas zerbrach in ihm.
„Wo ist er?“
„Da drinnen. Im Flur. Bei der Hochzeit.“
Er wurde blass.
„Seltsam?“
„Ja. Er ist unser Sohn.“ Stille. Nur seine Schritte auf dem Marmorboden und leise Musik.
„Ich muss ihn sehen. Mit ihm reden“, sagte er.
Silvia schüttelte den Kopf:
— Er ist noch nicht bereit. Aber er wird es sehen. Alles. Ich habe nichts gegen ihn. Es ist nur so, dass jetzt alles anders ist.
Sie kamen zurück. Victor forderte sie zum Tanz auf. Einen Walzer. Leicht wie Luft. Und dann drehten sie sich mitten im Raum um, und alle sahen sie an. Rareș erstarrte.
Wer ist dieser Mann? Warum sieht seine Mutter aus wie eine Königin? Warum sehen alle sie an und nicht ihn?
Er spürte, wie etwas in ihm zerbrach. Zum ersten Mal in seinem Leben schämte er sich. Für ihre Worte, ihre Gleichgültigkeit, die verlorenen Jahre.
Als der Tanz vorbei war, kam er auf sie zu:
—Mama… warte mal… wer ist das?
Sie sah ihm in die Augen. Ich lächelte ruhig, traurig und stolz zugleich.
—Das ist Victor. Dein Vater.
Rareș erstarrte. Alles wurde trüb, wie unter Wasser. Sie sah Victor an und dann wieder ihre Mutter.
„Meinst du das ernst?“
„Sehr ernst.“
Victor kam näher:
„Hallo, Rareș. Ich bin Victor.“
Schweigen. Kein Wort. Nur Blicke. Nur die Wahrheit.
„Wir drei“, sagte Silvia, „haben viel zu besprechen.“
Und sie gingen. Ohne Pomp, ohne Lärm. Nur … zusammen, alle drei. Ein neues Leben begann. Ohne Vergangenheit. Aber mit Wahrheit. Und vielleicht mit Vergebung.