Acht Jahre lang erinnerte sich niemand an mich — aber sobald sie vom Geld erfuhren, waren plötzlich alle verwandt?

PROMINENTE

„Warum sprichst du so mit mir, Tanja?“, fragte Galina Jewgenjewna scharf, obwohl ihre Stimme ihre Aufregung verriet.

„Mama, wie soll ich denn sonst sprechen? Ich bin hier nicht im Urlaub, ich arbeite Tag und Nacht, um etwas zu erreichen.

Und wo wart ihr all die Jahre?“

„Nun, nun, schrei mich nicht an.

Vielleicht haben dein Vater und ich nicht oft geschrieben, aber wir wussten, dass es dir gut geht.

Außerdem braucht Wjatscheslaw Hilfe…“

„Aha, Wjatscheslaw – wie immer alles für ihn, und ich kriege einen Anruf mit ‚Hi, lange nicht gehört, schick mal Geld‘? Oder was?“

„Verdreh mir nicht die Worte“, warf Andrei Michailowitsch ein.

„Tanja, wir sind doch keine Feinde…“

„Keine Feinde? Wirklich, Papa?

Du warst acht Jahre lang verschwunden, und jetzt brauchst du mich plötzlich?“

Und Tanja beendete abrupt das Gespräch.

Sie starrte auf den Handybildschirm, versuchte zu begreifen, was gerade passiert war.

Ihr Kopf fühlte sich heiß an, und ihr Herz schlug laut.

Tanja war achtzehn, als sie eine kleine Tasche packte und ein Zugticket nach Karaganda kaufte.

Nur das einfachste Drittklassabteil, das Geld mühsam mit Gelegenheitsjobs verdient — und keine Allüren.

Zu dieser Zeit verabschiedeten ihre Eltern gerade Wjatscheslaw zu einem weiteren renommierten Studentenprogramm, wo er ihrer Meinung nach glänzen sollte.

Tante Nadja, die Schwester ihrer Mutter, warf zum Abschied einen sarkastischen Witz über Tanjas schiefe Vorderzähne und ihre „Stupsnase“.

Immer wenn Tante Nadja scherzte, wollte Tanja am liebsten im Boden versinken.

Seit ihrer Kindheit war Tanja das unauffällige Anhängsel ihres älteren Bruders.

Wjatscheslaw war, wie man oft sagte, „vielversprechend“ – im Sport, in der Musik, in der Schule – in allem, was die Eltern dazu brachte zu rufen: „Schau mal, wie talentiert er ist.“

Und Tanja, ein Mädchen mit großen, unsicheren Augen und einem unvollkommenen Lächeln, wurde oft beiseite geschoben und aufgefordert, nicht zu stören.

„Stör nicht“, sagte ihre Mutter.

„Lies lieber was oder hilf beim Abwasch“, fügte der Vater hinzu.

Tanja versuchte aufrichtig, ihnen zu gefallen, aber jedes Mal hatte sie das Gefühl, dass man sie mit Verachtung ansah – als hätte sie es nicht geschafft, ein weiteres Wunderkind hervorzubringen.

Mit fünfzehn sah Tanja zufällig eine Dokumentation über Pflanzenzüchtung im Fernsehen.

Fasziniert starrte sie auf den Bildschirm, unfähig wegzuschauen: lebendige Bilder, Experimente, Gewächshäuser, Gentechnik.

Für Tanja öffnete sich eine neue Welt.

Doch der Weg zu ihrem Traum war nicht einfach: Niemand wollte ihr Fachbücher kaufen, und auch die Idee, Biologie zu studieren, fand keine Unterstützung.

Ihre Eltern waren ständig mit den Erfolgen ihres Bruders beschäftigt, der mal ein Schachturnier gewann, mal bei einer Olympiade glänzte.

Eine „Versager“-Schwester interessierte niemanden.

Tante Nadja machte regelmäßig Bemerkungen:

„Tanjuschka, wer braucht denn deine Blümchen? Wenn jemand Jura oder Finanzen studiert – das hat Sinn. Aber das hier ist doch nur Spielerei.“

Tanja hegte einen innigen Wunsch – weit wegzukommen, um diese ironischen „Tanjuschka“-Bemerkungen und die Gespräche über die Sinnlosigkeit ihrer Hobbys nicht mehr zu hören.

Nach dem Schulabschluss beschloss sie: Es reicht.

Das Rattern der Zugräder, der Bahnhof, eine fremde Stadt.

Ein Wohnheim der Universität in Karaganda, neue Freunde.

In den ersten sechs Monaten schickte sie nur zwei kurze Nachrichten nach Hause – um ihre Immatrikulation mitzuteilen.

Die Antwort war knapp: „Na gut, pass auf dich auf. Deine Eltern.“

Danach brach der Kontakt von selbst ab.

An der Universität entschied sich Tanja fast sofort für den Fachbereich Genetik und begann mit der Erforschung der Krankheitsresistenz von Gemüsepflanzen, während sie gleichzeitig als Laborassistentin arbeitete.

Nach dem Abschluss blieb sie als Doktorandin, wo sie schnell bedeutende Ergebnisse erzielte.

Einige ihrer Projekte zur Modifikation von Pflanzengenetik beeindruckten die Fachwelt, und eines Tages klopfte der Ruhm plötzlich an ihre Tür: Sie wurde für ein Interview über das Leben junger Wissenschaftler zu einem nationalen Fernsehsender eingeladen.

Dazu kam ein großzügiges Stipendium, und die Universität stellte ihr ein großes Forschungslabor zur Verfügung.

„Tanja, du bist echt ein Genie“, sagte ihre Kollegin und Freundin Olessja, als Tanja aufgeregt aus dem Fernsehstudio zurückkam.

„Das ist ja wie ein Wunder!“

„Ja, ich bin selbst noch im Schock“, lachte Tanja und konnte es noch nicht ganz glauben.

„Man hat mir gesagt, dass wir mit großflächigen Versuchen starten können, wenn alles weiterhin gut läuft.

Und wer weiß – vielleicht bringt es nicht nur in Kasachstan etwas…“

„Werd bloß nicht eingebildet, ja?“ zwinkerte Olessja ihr freundlich zu.

„Ach, komm schon“, rümpfte Tanja die Nase.

„Ich wurde so erzogen, dass ich nur ein unbedeutendes Anhängsel meines Bruders bin – wie soll ich da ein Star sein?“

Ein paar Tage nach dem Interview explodierte Tanjas Handy beinahe vor lauter Anrufen unbekannter Nummern – sogar aus der Hauptstadt.

Der erste Anruf war von ihrer Mutter, Galina Jewgenjewna.

Tanja nahm ab:

„Tanjuscha, hallo, hier ist Mama.

Ich habe gehört, dass du jetzt… oh, ich weiß gar nicht, wie ich’s sagen soll – wahrscheinlich gut gemacht!

Meld dich mal öfter.

Wir haben dich im Fernsehen gesehen, kannst du dir das vorstellen?“

„Hallo Mama. Ja, es gab ein Interview.“

„Und wie geht’s dir überhaupt?

Slawa ist völlig außer Kontrolle“, flüsterte Galina Jewgenjewna plötzlich.

„Ich weiß nicht mehr, was ich mit ihm machen soll.

Wir müssen reden; vielleicht kannst du vorbeikommen und uns einen Rat geben?“

„Mama, ich habe im Moment sehr viel Arbeit.“

„Verstehe“, sagte Tanja in ruhigem Ton und versuchte, ihre Stimme nicht zittern zu lassen.

„Aber ich habe nicht vor, Karaganda zu verlassen, tut mir leid.“

„Wir vermissen dich alle so sehr hier“, ihre Stimme wurde weicher.

„Komm nach Hause, wir sind doch Familie.

Du hast jetzt so gute Aussichten, in Astana wäre es doch viel praktischer!“

„Darüber denke ich gerade nicht nach, Mama.“

„Na, wie du meinst…

Aber du bleibst doch eine von uns.

Komm wenigstens deinen Vater besuchen – ihm geht’s nicht gut.

Und Tante Nadja fragt auch, wie es dir geht.“

Tanja murmelte etwas Unverständliches, verabschiedete sich und legte auf.

Sie sagte ihrer Mutter nicht, was wirklich in ihrem Herzen war: unterdrückter Groll, Überraschung, vorsichtige Neugier.

Alles strömte gleichzeitig auf sie ein.

Am nächsten Tag rief Tante Nadja per Video an:

„Tanjuschka, hallo!

Du bist ja der Wahnsinn – ich hab dich im Fernsehen gesehen!

Sie haben deine Beete gezeigt und all das kluge, wissenschaftliche Zeug!“

„Hallo, Tante Nadja…“

„Sag einfach Tante, warum bist du so förmlich?

Ich dachte mir, vielleicht war’s doch richtig, dass du gegangen bist.

In Karaganda hast du’s besser geschafft als daheim.

Und wir haben alle gedacht… ach, egal, was wir gedacht haben.

Ich bin jedenfalls stolz auf dich, Liebling.

Und deine Zähne – du hast sie richten lassen?

Hübsch bist du!“

„Ja, musste sein“, lächelte Tanja, obwohl die alten spöttischen Bemerkungen der Tante ihr wieder ins Herz stachen.

„Hör mal, komm uns besuchen.

Jetzt, wo du Geld hast, ist doch sicher alles gut, oder?

Deine Mutter und ich haben uns schon vorgestellt, wie deine Karriere durchstartet.

Und dein kleiner Bruder hat sich immer noch nicht gefunden…

Wir werden alt, Galina Jewgenjewna und ich dachten, Slawa würde uns unterstützen – aber das tut er nicht.“

„Du bist jetzt berühmt, du hast bestimmt Kontakte – vielleicht redest du mal mit Wjatscheslaw wie eine Erwachsene?

Ich meine, vielleicht braucht er Geld oder einen Rat.

In letzter Zeit ist er… na ja, ganz für sich allein.“

«Ich verstehe», wiederholte Tanya fast automatisch.Ich bin einsam. Warum finde ich keine Freunde?

«Okay, Tante, ich muss in das Labor.»

Nachdem sie aufgelegt hatte, rutschte sie von ihrem Stuhl auf den Boden und saß dort eine Weile, die Knie umarmend.

Innen brodelten widersprüchliche Gefühle.

Acht Jahre lang hatte niemand auch nur angerufen, um zu fragen, ob sie lebte, gesund war oder genug Geld zum Leben hatte.

Und jetzt gab es einen Strom von Interesse, Stolz und Vorschlägen, wieder näher an ihre „Probleme“ zurückzukehren.

Eine Woche später kam ein Anruf von ihrem Vater, der ebenfalls beschloss, sie an seine Existenz zu erinnern:

«Tanya, hallo, hier ist Papa.»

«Hallo, Papa.»

«Ich wollte mit dir sprechen. Vielleicht könntest du für ein paar Tage kommen? Es gibt viel zu tun, und… weißt du, alle sind ganz aufgeregt, als sie von deinem Erfolg gehört haben. Wir freuen uns wirklich. Aber Vyacheslav ist gerade in einer schwierigen Situation, deine Hilfe könnte ihm nützlich sein.»

«Meine Hilfe? Was kann ich tun?»

«Du bist jetzt berühmt, vielleicht hast du Verbindungen? Könntest du ihm raten, wo er einen Job finden kann? Er ist nicht dumm, er hat nur das Leben noch nicht verstanden.»

«Papa», Tanya lächelte schief, «ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll.»

Diese Flut von Anforderungen und Andeutungen, dass Tanya die Probleme anderer Menschen lösen sollte, wurde unerträglich.

Ein Gefühl von Ärger und bitteren Erinnerungen überfluteten sie.

Sie wollte nicht die Beherrschung verlieren, aber es war unmöglich, weiterzumachen.

Am nächsten Tag, während Tanya im Labor war, kam ein weiterer Anruf von ihrer Mutter; Olesya winkte ab: «Geh ran, sonst nerven sie dich weiter!»

Tanya seufzte und stellte den Anruf auf Lautsprecher.

«Mama, ich bin bei der Arbeit, sprich schnell.»

«Tanyusha, es gibt etwas…», begann Galina Yevgenyevna, und an ihrem Ton war klar, dass sie sich beschweren wollte.

«Vyacheslav hat wieder mit seiner Miete im Rückstand, und dein Vater und ich können ihm nicht helfen. Unser ganzes Geld geht jetzt für seine Behandlung drauf, und du weißt ja, das Leben ist heutzutage teuer. Vielleicht könntest du…»

«Mama?» unterbrach Tanya sie, stützte sich auf den Rand ihres Schreibtisches und sammelte ihre Gedanken.

«Soll ich verstehen, dass ihr plötzlich denkt, dass ich mich vom vergessenen hässlichen Entlein in einen Geldautomaten oder Retter verwandelt habe?»

«Wie sagst du das, Tanyusha? Wir sind deine Eltern.»

«Eltern.» Tanya seufzte. «Und denkt ihr, es kümmert mich um eure Probleme, nachdem ich acht Jahre lang nichts von euch gehört habe?»

«Du bist ungerecht, Liebes», zitterte die Stimme ihrer Mutter. «Du bist von selbst gegangen!»

«Ja, ich bin gegangen. Und es war das Richtige. Damals war es euch egal. Ich war unerwünscht.»

«Warum sagst du das, Tanya…»

«Mama, lass uns ehrlich sein. Du hast mich immer behandelt, als wäre ich nichts, und das zu Recht, weil ich für dich immer nichts sein werde. Ruf mich nie wieder an, auf Wiedersehen!»

Tanya beendete das Gespräch abrupt, und im Labor herrschte eine kurze Stille.

Mehrere Kollegen drehten sich unbeholfen weg, versuchten, sich nicht in das Familiendrama einzumischen, aber jeder hatte die letzten Worte gehört.

Olesya, die am nächsten saß, beugte sich zu Tanya:

«Hör mal, vielleicht überreagierst du… es sind schließlich deine Eltern…»

«Nein, Olesya», antwortete Tanya, «es… es ist schon lange zerbrochen.»

Tanya tat so, als würde sie weiter mit den Reagenzgläsern arbeiten, obwohl ihre Hände leicht zitterten.

Innen war kein geringster Wunsch mehr, sich zu mildern, zu erklären oder zurückzukehren.

Sie hatte einen langen Weg von dem kleinen Mädchen, das unerwünscht war, zu einer unabhängigen Wissenschaftlerin mit einer eigenen Stimme zurückgelegt.

Und jetzt hatte diese Stimme endlich laut und klar gesprochen.

Und diejenigen, die sie nie bemerkt hatten, sollten mit dem Wissen weiterleben, dass sie nicht vorhatte, die Probleme anderer zu übernehmen.

Sie sah wieder auf ihr Handy: Es gab verpasste Anrufe von ihrer Tante, ihrem Vater und ihrer Mutter.

Aber Tanya hatte nicht vor, zurückzurufen.

Für sie war es völlig klar: Keine Verwandten, die jetzt plötzlich an sie dachten, konnten wichtiger sein als ihr eigenes Leben, ihre wissenschaftlichen Träume und die Menschen in Karaganda, die wirklich immer an ihrer Seite gewesen waren.»

Rate article